Die Entwicklung des Chores ist nicht nur von den Chorleiter/-innen geprägt, sondern auch von den jeweiligen politischen Einflüssen (1. und 2. Weltkrieg, Mauerbau, Wende). Als Ereignisse können dazu erwähnt werden:
Es ist zwar kein Beleg für die Chorgründung gefunden worden, etwa in Form einer Urkunde, doch ist durch den ersten vorliegenden Geschäftsbericht aus 1916 bekannt, dass der Chor im Mai 1912 als Evangelischer Kirchenchor gegründet wurde. Als solcher hat er ohne Satzung bis Anfang 1916 gewirkt. Eine Mitgliedskarte mit der Jahreszahl 1912 ist vorhanden. Im Jahr 1916 wurde dann eine Kommission gebildet, die mit dem Entwurf einer Satzung beauftragt wurde. Unter Annahme derselben am 01.02.1916 nannte sich der Chor fortan „Kirchenchor und Oratorienverein Oranienburg“.
Der Chor wurde zunächst geleitet von Karl Försterling (geboren 1881), er hat den Chor am längsten als Leiter begleitet. Von Beruf war er Lehrer, Kantor und Organist und erhielt seine musikalische Ausbildung in Erfurt. In der Kirchengemeinde zeichnete er verantwortlich für etwa 20 Chorauftritte im Jahr. In den Jahren seiner Gefangenschaft von Ende 1914 bis April 1920 wurde der Chor stellvertretend von Eugen Stellbaum geleitet, der von Beruf Lehrer war und als Stellvertreter des Kantors fungierte.
Aus der Gründerzeit stammen viele Informationen über das Chorleben. Dadurch, dass der Verein regelmäßig Vorstandssitzungen und Generalversammlungen abhielt, wurden Geschäftsberichte, Kassenberichte und Berichte über die Generalversammlung verfasst. Diese sind bis 1925 nahtlos zu verfolgen und enthalten interessante Einzelheiten. So erfährt man z.B. statistische Informationen über das Probengeschehen, sogar unter namentlicher Aufzählung derjenigen, die unentschuldigt gefehlt haben oder zu spät gekommen sind. Jeder Bericht enthält eine Aufschlüsselung des Chores nach Stimmlagen. Es gibt Informationen über die finanzielle Situation des Chores, über Choreinsätze, über die musikalische Einschätzung durch den Chormeister sowie über Auszeichnungen von „tadellosen“ Chormitgliedern.
Aus einer Notiz des Vereinsschriftführers vom 27.04.1920 erfährt man von der Rückkehr Karl Försterlings aus der Gefangenschaft. Bis zu seinem Tod 1954 leitete er den Chor. In Briefen an den Gemeindekirchenrat beschreibt er seine Mühen und Nöte. 1945 beklagt er die „… Vernichtung meiner herrlichen 3-manualigen Orgel beim Russeneinmarsch“.
Nach 1925 reißen die im Archiv abgelegten detaillierten Informationen über das Chorgeschehen ab. Nur sporadisch sind Hinweise zu finden über das Auftreten des Chores zu bestimmten Anlässen:
Nach dem Tod von Karl Försterling wurde der Ingenieur Walter Schuh aus Oranienburg mit der Leitung des Chores betraut.
Es folgte eine schwierige Phase für den Chor, geprägt durch Mitgliederschwund und kaum spektakuläre Aufführungen. Herr Schuh hat neben dem Organistenamt auch die Chorleitung ehrenamtlich betrieben – sowohl ein Zeichen für seinen Enthusiasmus als auch für die damals schwierige finanzielle Lage der Gemeinde.
Eine Art Vakuum für die Chorchronologie bildet nach dem Weggang von Herrn Schuh der Zeitraum 1960-1972. Es hat aber auch da eine singfähige Gruppe weiter bestanden, z.B. unter der Leitung Anne Döhrings und Erika Bundrocks. Schriftliche Anhaltspunkte aus der Zeit sind nicht bekannt.
Eine neue aktive Phase der Wirksamkeit des Chores erfolgte durch den Amtsantritt der Kantorin Hanna Seefeld. Der Chor wuchs, erhielt einen neuen Stellenwert und wirkte unter einem ganz neuen Leitungsstil.
Durch das Eintreten von Mitgliedern aus anderen kirchlichen Gemeinden wurde der Chor unter ihrer Leitung in dem Zeitraum zwischen 1972 und 1974 zu einem ökumenischen Chor. Das wurde begünstigt durch die zunehmende ökumenische Zusammenarbeit in der Stadt.
Zu dieser Periode gibt es viele Zeitzeugen, einige singen bis heute im Chor.
Nahtlos übernahm Elisabeth Brunnemann-Rademacher 1985 als neue Kantorin die Chorleitung.
Elisabeth Brunnemann-Rademacher studierte von 1968 bis 1971 Kirchenmusik an der Kirchenmusikschule Dresden. An dieses Studium mit dem Abschluss des B-Examens schloss sich ein Jahr katechetische Ausbildung in Potsdam an. Von 1972-1985 war sie als Kantorin und Organistin an der St. Annen-Kirche in Zepernick bei Bernau tätig und konnte dort eine rege kirchenmusikalische Arbeit aufbauen. Während dieser Zeit begann auch eine lang andauernde, intensive Mitarbeit als Kantoreiassistentin und Organistin bei Dr. Christoph Albrecht an der Berliner Marienkirche. Von 1985 bis zu ihrem Ruhestand im Jahr 2012 wirkte Elisabeth Brunnemann-Rademacher als Kantorin an der St. Nicolai Kirche Oranienburg.
Weiterbildungen in Dirigierkursen, Continuo-, Orgel- und Kinderchorseminaren bei Helmuth Rilling, Uwe Gronostey, Hartwig Eschenburg u.a. gaben ihr immer wieder wichtige neue Impulse für die Arbeit vor Ort.
Als verschiedene Schwerpunkte, die ihre Arbeit prägten, sind zu nennen:
Jung und Alt für die Kirchenmusik zu begeistern, im Großen und im Kleinen und eine gute menschliche Gemeinschaft in den Musikgruppen zu haben, war ein wichtiger Ansatz in den 24 Oranienburger Arbeitsjahren.
Besonders zu erwähnen bleibt noch ein Höhepunkt, den sie im Jahr der Landesgartenschau (2009) mit der Aufführung von der „Schöpfung“ von Joseph Haydn schuf.
Am 28.02.2010 wurde sie nach ihrer langjährigen engagierten Arbeit im Gottesdienst aus dem Dienst in der Kirchengemeinde verabschiedetet.
Das Verfahren zur Neubesetzung der Kantorenstelle der Evangelischen Nicolai Gemeinde zog sich länger als geplant hin. In dieser Übergangszeit hat Matthias Dill bis zur Neubesetzung der Kantorenstelle die Chorleitung übernommen.
Matthias Dill ist studierter Chordirigent und Sänger. Seine Studien absolvierte er in Weimar und Leipzig. Seit 2005 ist er in der Kirchengemeinde Kremmen als Chor- und Posaunenchorleiter tätig. Matthias Dill hat zunächst mit dem Ökumenischen Chor Oranienburg als Projekt das Magnificat von Carl Philipp Emanuel Bach erarbeitet. Im November 2010 wurde „Der Stern von Bethlehem“ von Josef Gabriel Rheinberger aufgeführt; im April 2011 führte er in Oranienburg und Kremmen die Markuspassion von Reinhard Keiser auf.
Der Oranienburger Chor war in seiner Geschichte reich an guten Chorleiter/-innen. Nur eine fachlich kompetente, sachliche, engagierte und einfühlsame Leitung macht es möglich, dass der Begeisterungs-Funke der musikalischen Gestaltung zum Chor überspringen kann!
2011 übernahm der gebürtige Engländer Jack Day, Jahrgang 1979, die Chorleitung. Jack Day studierte in Manchester vier Jahre und in Cambridge ein weiteres Jahr Musikwissenschaften. In Leipzig und Trossingen absolvierte er ein Aufbaustudium in Musikwissenschaft, Orgel und evangelische Kirchenmusik. In England gehörte er zum „Fellowship of the Royal College of Organists“ (Mitglied des Königlichen Organisten-Kollegiums). Dies ist Voraussetzung dafür, in einem englischen Dom Orgel spielen zu dürfen. Beim Berliner Kapellmeister Volkher Häusler absolvierte er ein Privatstudium in den Fächern Dirigieren und Chorische Stimmbildung.
Nach Abschluss seines Studiums 2009 übernahm er eine Vertretungsstelle als A-Kantor an der St. Georgenkirche in Waren an der Müritz, wo er eine viel beachtete Konzertreihe betreute. Nach Übernahme der Kantorenstelle in Oranienburg veranstaltete u.a. moderne Duo-Konzerte z.B. mit Orgel und Schlagzeug, lud interessante Musiker ein und führte mit dem Ökumenischen Chor im Sommer 2011 in englischer Sprache den Messias von Georg Friedrich Händel auf. In Berlin leitete er zudem einen Männerchor und sang selbst im Mendelssohn-Kammer Chor Berlin mit.
Jack Day brachte viele Impulse in die Oranienburger Chorarbeit ein und versuchte internationale Komponenten in die Arbeit zu integrieren. So fanden auch ambitionierte Aufführungen in englischer Sprache statt. Neben der Wichtigkeit der Stimmbildung stand bei ihm die Freude an der Musik im Vordergrund. Ein verbesserter Chorklang war die Folge.
Daneben verband Jack Day die Arbeit in Oranienburg auch mit der Mission, eine klangvolle Orgel für die Gemeinde anzuschaffen. Um die Gemeinde hiervon zu überzeugen, aber auch um Geld zu sammeln, organisierte er neben regelmäßigen Orgelkonzerten in der Nicolaikirche ebenfalls Exkursionen zu bedeutenden Orgeln der Region. 2017 übernahm er eine neue berufliche Herausforderung in der Gemeinde der Luisenkirche in Berlin-Charlottenburg.
Seit 2017 leitet Markus Pfeiffer, Kirchenmusiker und Kreiskantor, unseren Chor.
Markus Pfeiffer
Markus Pfeiffer, geboren 1987 in Lutherstadt Wittenberg, wuchs früh mit Musik auf. Seit dem sechsten Lebensjahr erhielt er Klavierunterricht an der Kreismusikschule. Seinen ersten Gottesdienst spielte er mit dreizehn Jahren im Oderbruch. Zum Kirchenmusikstudium entschloss er sich aber erst später: Von 2011 bis 2015 studierte er in Dresden Kirchenmusik B und bis 2018 Kirchenmusik A unter anderem bei Prof. Dr. Dr. hc. Christfried Brödel, Prof. Stefan Lennig (beide Chorleitung), Steffen Walther und Prof. Martin Strohhäcker (beide Orgel). Seit 2012 leitete er neben seinem Studium Gemeindechöre und übernahm Chorprobenvertretungen.